Gisela Paul vom Kaisermarkt

Sie macht alles selbst: Frankfurter Grüne Soße, CDs und Bücher.

Gisela Paul
„Ein Ort der interkulturellen Begegnung soll das Viertel sein, dafür gebe ich meine ganze Kraft.“

Schlagwortartig wird sie in den Medien beschrieben, die Gisela Paul: als umtriebige singende Marktfrau, als das Frankfurter Original. Sie verkauft selbstgemachte Eintöpfe und ihre berühmte Grüne Soße auf der Kaiserstraße dienstags und donnerstags und an den anderen Wochentagen woanders in der Stadt. Das kann man beobachten oder einfach aus den vielen Zeitungsartikeln abschreiben, die im Laufe der Zeit über sie erschienen sind und mit denen sie Ihren Marktwagen ausgeschmückt hat.

Oft ist es laut, wo Gisela Paul sich aufhält und sie trägt zu der Lautstärke bei, gibt Regieanweisungen quer über den Platz, bereits morgens um sechs Uhr und es widersetzt sich ihr keiner, auch die Polizei nicht.

Gisela Paul Dreharbeiten
Gisela Paul und der ehemalige Kontaktbereichsbeamte des Bahnhofsviertels, Hauptkommissar Lohfink bei Dreharbeiten für das ZDF

Sie ist routiniert und sie weiß, was sie der Presse zu sagen hat, sie kann einschätzen, was ankommt, was gedruckt und gesendet wird. Sie ist Public-Relation Manager in eigener Sache.

Wie gesagt, es ist laut da, wo man sie trifft, an den Markttagen und auf den Straßenfesten und so hat man nicht oft das Glück, sie an einem Platz zu treffen, an dem es leise ist, an dem man ihr wirklich zuhören kann.

Geboren ist sie im selben Jahr wie die D-Mark, ich bin ein „Kopfgeld-Kind“, sagt sie und lächelt und nur wer weiß, wann die D-Mark kam, kann sich ihr Alter ausrechnen. (Nein, nein, die D-Mark gab’s nicht gleich nach dem Krieg.) „Im Mai bin ich geboren, ein typischer Stier. Auf meine Lautstärke soll man nicht viel geben.“  Das stimmt, denn wenn sie leise wird, dann wird es ernst oder interessant oder beides. „Wenn ich still werde, nichts mehr sage, dann ist der Ofen aus. Was hinter dem Pflug ist, ist beackert. Ich habe für Vieles ein Herz, aber wenn mich einer belügt, oder mein Vertrauen missbraucht, dann geht nichts mehr. Dann drehe ich mich nur noch weg und gehe.“

Aber dann kehrt im Gespräch die andere Variante der Stille ein, über die sie verfügt, sie erzählt über ihr Hobby, über die Halb-Edelsteine, mit denen sie sich auseinandersetzt und über die sie ein Buch geschrieben hat. „Die Kraft der Steine fasziniert mich, ruhig werde ich da und überlegen – irgendwie“. Sie geht den Schwingungen nach, die von den Steinen ausgehen und die sie spürt, wie sie sagt. Das zweite private Thema ist die Reïnkarnations-Astrologie nach dem Sonnensystem.  „Ich bin ein  Meteor, ein kosmischer Irrläufer.“ Und sie erzählt von den Stationen ihres Lebens, davon, dass sie ausgebildete Sängerin ist, bis zur Opernreife. „Aber mein Mann wollte das nicht und außerdem war die Oper nicht so ganz meine Sache. Wenn es damals schon so viele Musicals gegeben hätte wie heute, dann wäre ich bestimmt dabei geblieben.

So wurde ich Ehefrau  und bei der IHK eingetragene Bürokauffrau, arbeitete bei der Bank – Wertpapier Effektenkasse. Später arbeitet die Paul dann in Hanau für’s Arbeitsamt: Vermittlung von Asylbewerbern, Schwervermittelbaren Drogis und Hilfsarbeiter. „Ich hab für die gekämpft“, sagt sie „und ich bin da in Jeans zur Arbeit, hab’ mir nicht die teuren Klamotten angezogen, wie die Kollegen. Ich wollte mich nicht über die Leute stellen, die ich zu versorgen hatte, das wäre doch arrogant, deshalb hab ich die Jeans angehabt, genau wie die.“

Von Ihren zwei Ehen erzählt sie und vom Sohn Markus, der 1967 auf die Welt kam. „Der ist Feuerwehrmann.“ und ihre Augen glänzen: „Mit 42 wurde ich Oma, zwei Enkelinnen hab ich und einen Enkel.“

Und ich erfahre, wie sie sich selbständig gemacht hat, Pelze verkauft auf der Messe in Mailand und Hamburg und wie sie dann schließlich zur Gastronomie kam: Vier Jahre war mein Lokal unter den Hanauer Top-Kneipen, das war ein Musiker und Session Treff und sie zählt auf, wer alles dort war und gespielt hat und sie kommt ins Schwärmen.

„Ich habe ein ruheloses Leben, das keine Endwurzeln gefunden hat.“ Und dann denkt sie nach und fügt hinzu: „Aber aus Hessen rausgekommen bin ich nicht, da hab ich mich doch irgendwie verwurzelt. Ich find mein Leben gut! Ich will noch arbeiten, so lange ich kann. Ich mache gerne Pionierarbeit, die Dinge, vor denen die anderen Angst haben, deshalb habe ich immer wieder neue Märkte installiert in der Stadt und das Event für die WM, das war für mich eine Herausforderung. Wenn ich so was mache, bitte ich darum, dass die Kraft dafür von innen kommt und dann lege ich los.

Sie hat ein Ziel: „Der Schmuddelname des Viertels soll verschwinden, die sollen nicht mehr die Nase rümpfen, wenn sie über das Viertel reden. Ein Ort der interkulturellen Begegnung soll das Viertel sein, sagt sie, dafür gebe ich meine ganze Kraft.“ Und das macht sie dann auch. So hat sie den Markt organisiert während der Fußball WM, den ganzen Monat lang und es war friedlich hier im Viertel und alle haben gefeiert. So gab’s im Frankfurter Bahnhofsviertel auch ein Sommermärchen und das hatte nicht der Herr Klinsmann verursacht sondern die Frau Paul.

Dass das Viertel eine Identität entwickelt, wenn es alljährlich mit dem Kaiserstraßenfest den Geburtstag des Hauptbahnhofs feiert, ist eine Idee, die Gisela Paul gefällt und für die sie sich seit Jahren einsetzt. Weiter an der selbsterfundenen Tradition festzuhalten und jedes Jahr von Neuem den Aufwand der Organisation des Kaiserstraßenfestes auf sich nehmen, obwohl fast die gesamte öffentliche Aufmerksamkeit momentan der Bahnhofsviertelnacht gilt, ist eine Qualität, die Gisela Paul auszeichnet. Sie lässt ihre Idee nicht verschwinden, sondern wirkt weiter als Kontinuum und das ist klug.

Die Bahnhofsviertelnacht wird es nur so lange geben, wie die Stadt Geldmittel dafür bereitstellt und das wird vielleicht irgendwann nicht mehr der Fall sein. Das Kaiserstraßenfest aber wird es so lange geben, wie es Menschen aus dem Bahnhofsviertel heraus selbst organisieren und es ist das »Selbst- Organisieren«, das »Es-selbst-in-der Hand-haben«, das Identität für einen Stadtteil stiftet.

Die Bahnhofsviertelnacht ist Ausdruck der Wertschätzung dessen, was Menschen wie Gisela Paul aus dem Viertel heraus entwickeln, aber das »Selbst-Entwickeln«, wie es die [Werkstatt] Bahnhofsviertel und Gisela Paul und andere tun, ist die Grundvoraussetzung für diese Wertschätzung, ohne die Eigeninitiative, die aus dem Viertel heraus entsteht, wäre die Bahnhofsviertelnacht nichts weiter als eine PR Maßnahme der Stadt und in dieser Gefahr befindet sich die Bahnhofsviertelnacht, seitdem sie von der Tourismus- und Congress GmbH veranstaltet wird.

Gisela Paul vor der Börse
„Im Mai bin ich geboren, ein typischer Stier.“

Gisela Paul ist, wie es bereits angeklungen ist, nicht nur Erfinderin und Organisatorin des Kaiserstraßenmarktes und des Kaiserstraßenfestes, sondern Teilnehmerin der Lenkungsrunde, des Präventionsrats und vieler anderer Treffen, die als Ratgeber für die Stadtregierung und die Stadtplaner von Wichtigkeit sind und die Gründerin und Präsidentin des [Vereinsring] Bahnhofsviertel und Mitbegründerin des Gewerbevereins des Bahnhofsviertels.

So ist es nicht verwunderlich, dass ihr der Ministerpräsident Volker Bouffier am 16. September 2016 den Ehrenbrief des Landes Hessen für besondere ehrenamtliche Tätigkeit verliehen hat, die Auszeichnung überreichte ihr Oberbürgermeister Peter Feldmann im Römer.

Giesela Paul ist eine Macherin, die nicht unbedacht aus einem Lamento heraus argumentiert, selbst wenn sie Missstände aufzeigt (und das tut sie oft), setzt sie diesen eine Aktion entgegen. Es sind die Macher, wie sie, die Wandel hervorrufen, nicht die Krakeeler, die außer Beschwerden nichts zu bieten haben.

Natürlich hat Gisela Paul den Bevölkerungszuwachs im Viertel nicht alleine verursacht, natürlich hat nicht sie das Viertel umgebaut, hat es nicht alleine kommuniziert, nicht alleine neu erfunden, aber sie hat seit Beginn des Wandels mitgemischt und gehandelt.

Bei so manchen Prozessen war sie vielleicht „nur“ Katalysator, bei sehr vielen aber weit mehr als nur das.