Harry Statt Besitzer vom Moseleck

Harry Statt

BMW stehen viele herum in der Münchener Straße, im Jahre 1920 war das anders, da hatten diese drei Buchstaben auch nichts mit bayerischen Motoren zu tun, die BMW war ein Lokal, die Bäckerei-Metzgerei-Wirtschaft. Das Haus hat heute noch alle drei Funktionen. Es ist ein Eckhaus, es steht mit einer Kante, in der Münchener- (da ist die Bäckerei) und mit der anderen, in der Moselstraße (da ist die Metzgerei) und zwischen den beiden Läden gibt es eine Gaststätte. Die Moselstraße und der Stand am Eck, geben dem Lokal den Namen Moseleck. Hier soll erzählt werden über den Mann, der dieses Lokal seit 1995 betreibt: Harald Statt.

Jeden Morgen zwischen 6 und 7 sehe ich seinen schönen alten metallic-blauen Mercedes vor dem Lokal. Harald Statt gehört auch zu denen, die hier früh, bevor die Kunden kommen, alles wieder in die Reihe bringen, wie die Hausmeister und die Fegerkolonne. Er macht das Mosel Eck fit für den angebrochenen Tag. Es ist fast die einzige Zeit, in der kein Gast anwesend ist. Bis in den frühen Morgen sind Gäste da und am späten Morgen lassen die nächsten auch nicht lange auf sich warten. Danach macht er sich selber fit, im Fitness-Studio und erledigt die Einkäufe, dann ist er um 9:00 Uhr wieder kurz da und dann ist er verschwunden bis zum nächsten Tag.

Bevor er Inhaber des Moselecks wurde, führte er 18 Jahre lang eine andere Lokalität, die, wie seine jetzige, über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war. Das war nur eine Ecke weiter, die Kneipe hieß „Dampfkessel“ liebevoll im Volksmund „Dampfer“ genannt oder weniger liebevoll „Kampfkessel“.

Man sagt, der Dampfkessel habe Geschichte geschrieben aber leider lässt sich von dieser Geschichte, im Internet und in den Archiven der Frankfurter Zeitungen nichts mehr finden.  Einzig der Abgesang auf den Dampfkessel, geschrieben von Michael Rieth, den hatte Harald Statt zum Glück noch.  Er ist zu lesen unter diesem Text.

Es gibt durchaus noch Auswirkungen des Dampfkessels: ein großer Teil des Publikums ist Harald Statt treu geblieben, sie gehen jetzt ein Eck weiter. Wer ihm auch treu geblieben ist, das ist sein Personal, die sind noch immer da und sie waren auch für Harald Statt der entscheidender Grund weiter zu machen, als er das alte Lokal schließen musste.  »Wo hätten meine Leute hingesollt, so leicht findet man keinen neuen Job. Ich hätte den Dampfkessel gerne weiter betrieben, aber es ging nicht mehr, die haben die Miete erhöht innerhalb von drei Monaten von 6.000 auf 16.500 DM. Ich habe denen gesagt, dass die Mieterhöhung nicht zu erwirtschaften ist, ich verkaufe ja schließlich kein Rauschgift sondern ganz normalen Alkohol.« Früher wie heute gehören Banker zu seinen zufriedenen Kunden und Messebesucher aus aller Welt kommen immer wieder zu ihm. Und die Freunde des Sports, die beleben das Lokal, für die hat er eine Videogroßbildwand auf der alle Wettbewerbe und Meisterschaften live übertragen werden. Es sind die Fans der Eintracht, die sein Lokal lieben und die von den Offenbacher Kickers auch. (zum Glück kommen die nie zur selben Zeit)

»Vision, hab’ ich keine, die Zukunft lass ich auf mich zukommen, der Vertrag hier läuft ja noch ein paar Jahre und ich bin ja noch jung. Was anders werden müsste im Bahnhofsviertel?

Früher hatten wir hier 80% Deutsche und 20% aus anderen Ländern, heute ist es genau umgekehrt. Es müssten wieder mehr hier herziehen, die auch lange hier bleiben und nicht dauernd wieder wegziehen. Ich kann diesen Unterschied an meinem Lokal sehen: fast 80% meiner Gäste sind Stammkunden, die hab ich mitgebracht aus dem Dampfkessel und die kommen heute noch und der Rest,  also nur jeder fünfte, ist Laufkunde. Nur von der Stammkundschaft kann man sich ernähren. Ich sehe das doch hier bei den anderen im Viertel, ein Lokal, das keinen Stamm hat, hat auch keine Seele und ein Lokal ohne Seele macht pleite. Die von der Stadt, die reden darüber, dass man gerne mehr Familien mit Kindern im Viertel hätte, da können die lange drüber reden, aber es nützt nichts, solange die hier keine Parklätze schaffen, kriegen die auch hier keine Familien her. Manage doch mal ne Familie ohne Auto, das kriegst doch heute nicht mehr hin.« Er ist sehr bestimmend, wenn man mit ihm redet und beweglich ist er auch, er hält es nicht lange aus, still zu sitzen. Ich war ein paar Mal Gast in seiner Kneipe und ich habe mich gefragt, was den Erfolg des Lokals ausmacht. Ich glaube, es hat was zu tun mit seiner Art der Treue, mit dem, dass er seine Leute mitgenommen hat vom Dampfer ins Moseleck, und mit dem, wie er über seine Gäste redet, er mag sie und diese Treue schimmert auch durch, wenn er lächelt als er sagt, dass er über vierzig Jahre verheiratet ist, »…und zwar immer mit der selben Frau.«

Oskar Mahler


Harry Statt eröffnete das Moseleck am 1. Februar 1995,
nachdem er am 31. Dezember 1994 den Dampfkessel geschlossen hatte.

Das einzige auffindbare Dokument über den »Dampfkessel« war eine Seite aus dem »Pflasterstrand«, einem Stadtmagazin, das von 1975 bis 1995 in Frankfurt erschienen ist. Das Dokument war eine herausgerissene Seite, ich habe sie nicht im Stadtarchiv gefunden, sondern an der Wand im Moseleck.

Der Autor des Nachrufs auf den Dampfkessel war Michael Rieth, ein deutscher Musikkritiker, Schauspieler, Dramaturk und Autor, der viele Freunde im Bahnhofsviertel hatte und gerne und oft auch Gast im Moseleck und früher im Dampfkessel.


Epitaph

Der Untergang des Dampfers
Zum Ende einer Frankfurter Institution

Kneipen sind – von Bühnen abgesehen – die letzten Orte an denen, man erregt streitend oder still sinnierend, die Zeit vergisst und in denen sich das komplizierte Leben in die nicht entfremdete Problematik der schlichten Reproduktion verwandelt: »Wo bleibt mein Bier?«

In Nachhinein erscheint es, als sei der in diesen kalten Januartagen geschlossene Dampfkessel, im Volksmund liebe voll »Dampfer« genannt, bereits vor der ersten urkundlichen Erwähnung Frankfurts existent gewesen. Nirgendwo sonst kam diese eigenartige, sehr eigenwillige Mischung verschiedener Bevölkerungsschichten zusammen: Banker mit Weizenbier, Taxifahrer mit Kaffee, das Mädel von der Ecke mit Wein. Ein Berber wärmt sich nach einer kalten Nacht auf »Platte« auf, zählt seine letzten Markstücke. Der griechische Gemüsehändler zockt am Automaten. Am Tresen debattieren lautstark einige ehemalige Boxer über die Meisterschaftaussichten des CSC. An einem Tisch sitzt ein Flaneur und kontempliert: Was wäre Faust ohne Auerbachs Keller? Was wären Brendan Behan und Flannery O’Brien ohne Dubliner Pubs?

Im »Dampfer« traf sich alles: millionenschweres Vermögen und hundert Jahre Knast, Maler und Musiker, Bordellbetreiber und Bauarbeiter. Dazwischen all jene Entwurzelten, für die die Gesellschaft keinen Platz und keine Aufgabe mehr bereithält, Heimatlose, die sich hier zu Hause fühlten, weil man ihnen all die Macken und Meisen verzieh, derentwegen man sie an anderen Orten abgestoßen hätte.

Es war eine Institution nicht nur für das Bahnhofsviertel, sondern für das gesamte Frankfurter Umland, ein Auffangbecken, das der Stadt oder dem Landeswohlfahrtsverband die Kosten für ein mittleres Irrenhaus ersparte, eine Live-Bühne, in der das Leben so konzentriert abgebildet wurde, dass, hätte ein Filmemacher es abgelichtet, jeder behauptet hätte: »Es gibt es nicht, der Typ spinnt!«

Sitte und Moral waren den verfeinerten Gemeinheiten des modernen Geschäftslebens nicht gewachsen, hier hatte Mackie Messer das Sagen, der (nicht die) Dietrich galt mehr als die Aktie, und Tiger Brown verkehrte auch mal privat: er kannte ohnehin alle, und selbst wenn einem beim Eintritt das Blut entgegenfloss (daher auch der Drittname »Kampfkessel«), musste man sich keine allzugroßen Sorgen machen, Der Polizeietat wurde kaum belastet, weil hier noch altüberlieferte Gesetze galten: Ganovenehre, die Sache wurde untereinander geregelt, mit einem Handschlag beschlossen, der länger hielt als ein von den Großverbrechern der internationalen Politik beschlossener Waffenstillstand.

Im »Dampfer« wurden Geschichten auf eine so ehrliche Weise erzählt, wie sie nur von Leuten kommen können, die Höhen und Tiefen des Lebens so gut kennen, dass Aufschneiderei bloß Untertreibung wäre. Hier fanden auch Geschichten statt, von denen man noch lange erzählen wird. Wenn Gundi und Gabi, Frauen mit knallharter Schale und butterweichem Kern, Krakeeler rausschmissen, gemahnte das an Penthesilea und Brünhilde; wenn Kellner Mike ankündigte, mal schnell ein halbes Hähnchen holen zu wollen, war man nie sicher, ob diese Mischung aus Loki und Odysseus nicht auf ein paar Wochen verschwinden würde. Und wenn es in einem Preisausschreiben einen Sportwagen oder eine größere Geldsumme zu gewinnen gab, konnte man ein Monatseinkommen darauf setzen, dass Guido, der das angeschlossene Bierstübchen führte, so mühelos wie Gustav Gans das große Los ziehen würde.

In beinahe jeder zweiten Kneipe hängt der Spruch »Die ganze Welt ist ein Irrenhaus, doch hier ist die Zentrale.« Welche Anmaßung.

Das Zentrum dieser Welt war der »Dampfkessel«, der jetzt die Pforten für immer schloss, nachdem die Miete innerhalb von drei Monaten von sechs auf sechzehn Komma fünf tausend Mark erhöht wurde.

Ob die neuen Mieter der Liegenschaft ohne den »Dampfer« glücklich werden, ist anzuzweifeln. Von den großen, bei Tag und Nacht durchsichtigen Fenstern, ging eine starke soziale Kontrolle aus: die Crack-Szene mied die Kreuzung Mosel-/Münchener Straße. Das kann sich schnell ändern. Demnächst werden Leute mit der Aggressionsschwelle Null ihre Mörderdroge womöglich im Hauseingang jener Menschen rauchen, denen der »Dampfer« zu laut, zu wild und zu lebendig war.

Mit dem »Dampfer« ist ein Stück soziale Einrichtung gestorben, ein Stück leben, an dem Benjamin, Baudelaire, Toulouse Lautrec und Zille gerne teilgenommen hätten. Und nicht nur der Flaneur weint dieser Institution eine Träne nach.

Michael Rieth